Aktuell startet ein über ein Jahr lang vorbereitetes Projekt im Rahmen des neuen Leitbildprozesses der Martin Luther Stiftung Hanau (MLS), dem größten diakonischen Altenhilfe-Träger des Main-Kinzig-Kreises. Allerdings ist es anders als jedes Leitbildprojekt zuvor.
Altenhilfe neu denken
„Wir müssen viel mehr miteinander reden, als übereinander“ sagt Thorsten Hitzel, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Martin Luther Stiftung Hanau, „und das gilt auch dafür, wie wir miteinander arbeiten wollen, wie wir uns auf jetzige und zukünftige Herausforderungen vorbereiten und wie wir auch in Unsicherheit nachhaltige Lösungen finden. Gemeinsam.“ Der Vorstandsvorsitzende der Martin Luther Stiftung Hanau ist der maßgebliche Treiber hinter dem Leitbild-Prozess. Schon vorher, so Hitzel, habe er sich aber intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und sich innerhalb des Vorstandes und der Aufsichtsgremien ausgetauscht: „Natürlich hatten wir schon immer ein Leitbild. Als diakonische Einrichtung definieren wir uns über christliche und soziale Werte. Aber was wir jetzt angestoßen haben, ist ein Prozess, der weit über dieses christliche Leitbild hinausgeht und es gleichzeitig integriert. Wir gehen an die Grundsätze der Unternehmensführung und stellen diese für heutige und morgige Dynamiken auf den Prüfstand. Wir wollen Altenhilfe neu denken – menschlich, verbindend, nachhaltig. Damit geben wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unseren Bewohnerinnen und Bewohnern, und unseren Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern ein Versprechen.“
Klarheit und Werte
Schon 2022 begangen die ersten Schritte. Die Rückführung des Stiftungsnamens auf Martin Luther Stiftung Hanau und das Redesign des Stiftungslogo leitete mit seiner Veröffentlichung Anfang 2023 auch visuell ein, dass die Stiftung sich auf den Weg macht, dem gegenwärtigem Wandel zu begegnen und sich darauf besinnt, was wirklich wichtig ist: Klarheit und Werte. Gemeinsam mit der Agentur Denkstarter unter der Leitung von Sarah Zimmermann entstand ein kraftvolles neues Leitbild, bestehend aus einer Vision, einer Mission und Werten. Hitzel gibt zu, dass auch ihn die Vision „Wir denken Altenhilfe neu“ manchmal aus der Komfortzone bringt „Aber genau das brauchen wir. Veränderung entsteht nicht in der Komfortzone“. Die Vision sei wie ein Kompass, um gute und nachhaltige Entscheidungen für die Entwicklung der Stiftung zu treffen und sich selbst dabei zu hinterfragen. Und wer kann heute schon sagen, welche diakonischen Aufgaben die Stiftung künftig zusätzlich im Main-Kinzig-Kreis übernimmt.
Erfolgreiches Pilotprojekt in Schlüchtern
Aus der Vision entstand die Mission. Die Mission beschreibt, wie die Vision erreicht werden soll. Sie wurde in Zusammenarbeit mit einer Projektgruppe aller Führung- und Leitungskräfte erarbeitet, die seit mehr als einem Jahr den Prozess begleiteten. Heraus kam eine Mission, die viel mehr bedeutet als nur ihre Worte: „Die Individualität der Menschen ist die Inspiration für unser Arbeit“ ist das kraftvolle Ergebnis – simpel und tiefgreifend zugleich. „Individualität verbindet uns, das stimmt. Und ja, natürlich sind wir gefordert bei unserer Arbeit, wir spüren den Fachkräftemangel, die hohe Belastung. Aber wir sind hier auch eine Gemeinschaft. Wir schauen, dass es hier läuft, wir stehen für Inklusion, hier treffen Generationen aufeinander. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner haben individuelle Bedürfnisse. Und auch wir sind individuell, jede und jeder einzelne von uns. Wir sind eine bunte Mischung, aber uns verbindet eins: Wir wollen das Beste für unsere Bewohnerinnen und Bewohner – jeden Tag.“ beschreibt die Pflegedienstleitung Edelgard Keul aus dem Haus im Bergwinkel treffend, die das Pilotprojekt in Schlüchtern miterleben durfte.
Workshops für alle 900 Mitarbeitenden
Doch worauf fußt die Zusammenarbeit? Was gibt ihr einen Rahmen und Orientierung für das Miteinander? Gemeinsame Werte bilden das Fundament für die Beantwortung dieser Fragen. Diese wurden von der Projektgruppe unter Berücksichtigung zweier Fragestellungen erarbeitet: Welche Werte beobachten wir heute in der Zusammenarbeit? Welche Werte führen uns in die Zukunft? Drei Werteräume bildeten das Fundament: Vertrauen. Engagement. Verantwortung. Und damit startete das größte Projekt der Einbeziehung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Geschichte der Stiftung! Mehr als 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen in über alle Hierarchiestufen, Bereichen und Dienstgraden bunt gemischten Kleingruppenworkshops selbst erarbeiten und entscheiden, was diese Werteräume für ihr Miteinander bedeuten. Wie es dazu kam, bringt Hitzel auf den Punkt: „Das Miteinander findet nicht hier in der Zentrale statt, es findet bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei jeder und jedem einzelnen statt. Daher haben wir uns dazu entschieden, echte Mitgestaltung zu ermöglichen, Brücken zu bauen, Räume zu öffnen, in denen Diskussion stattfinden darf und Lösungen gefunden werden. Wir wollen neu denken? Dann müssen wir neu handeln!“
“Kultur ist so, wie der Laden hier läuft”
„Eine Kultur kann man nicht vorgeben“ ergänzt Sarah Zimmermann von der Agentur Denkstarter, die von Anfang an das Projekt mitbegleitet. „Die Kultur einer Organisation ist das Ergebnis. Sie ergibt sich aus Verhaltensweisen, aus Handlungen und Muster. Sie ist wie eine Art Gedächtnis. Sehr plakativ ausgedrückt könnte man sagen: Kultur ist so, wie der Laden hier läuft. Wir geben zwar mit den Werteräumen Engagement, Vertrauen und Verantwortung einen Rahmen vor, aber wie die Werte individuell in jedem Bereich oder in jedem Haus gelebt werden wollen, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie für andere erlebbar machen wollen, und sie selbst erleben möchten, dies geben wir in die Hand der über 900 Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter.“
Ein ambitioniertes Vorhaben, das schon jetzt auf großes Interesse stößt. Die Vorgehensweise ist unkonventionell und mutig, der Prozess mit Intention dynamisch und ergebnisoffen. Die Individualität der Menschen ist auch hier die Inspiration für die experimentelle Vorgehensweise. „Das, was wir vorhaben, fängt bei jeder und jedem einzelnen an. Die Veränderung, die daraus entsteht, ist die Summe der vielen individuellen kleinen und großen Veränderungen.“ Um das Mitmachen und die Mitgestaltung so einfach wie möglich zu machen, arbeiten wir parallel eng mit den Leitungs- und Führungskräften. Wir haben uns intensiv mit dem Thema der werte-orientierten Führung auseinandergesetzt. Hier setzen wir im zweiten Schritt einen starken Fokus auf Abläufe, Prozesse und Strukturen und deren Optimierung, um gleichermaßen die Frage zu beantworten, wie die Werte durch die Führung und durch das Führungsverhalten erlebbar und beobachtbar werden. Dieses Versprechen gilt es mit den von den Führungskräften erarbeiteten Führungsprinzipien einzulösen. Denn nur so bringen die vielen Impulse und kulturstiftenden Momente über alle Ebenen und über die gesamte Organisation zusammen. Eine große Aufgabe, die viel Mut erfordert. Aber genau diesen gibt es hier.“ fasst Sarah Zimmermann zusammen, die mit ihrer auf agile Organisationsentwicklung und Employer Branding spezialisierten Agentur aus Köln jahrelange Erfahrung mitbringt.
Interne Kommunikation: Zukunftsbild, FAQs und Roadshow
Einen zunächst abstrakt anmutenden Begriff wie „Leitbild“ mit Leben zu füllen, ihn auch für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verständnisvoll und greifbar zu machen, hat in der Kommunikationsarbeit der Martin Luther Stiftung Priorität. Auch Menschen, die die deutsche Sprache nicht gut beherrschen, werden informativ mitgenommen. „Wir haben uns gemeinsam mit der Kommunikationsabteilung viele Gedanken gemacht. Wir wissen, wie wichtig die interne Kommunikation ist. Wir möchten das Thema niedrigschwellig von der Theorie in die Praxis zu transportieren und eine Vielzahl von unterschiedlichen Medien und Kanälen nutzen, von Videoclips über Flyer in fremden Sprachen bis zu regelmäßigen Beiträgen im Intranet und in der Unternehmenszeitschrift.“ beschreibt Hitzel den Prozess. Ein großartiges „Zukunftsbild“ des Kölner Künstlers Helge Windisch, welches die Kernbotschaften des Leitbildes, sowie unterschiedliche Szenen aus den vielen Berufssituationen darstellen, fungiert als zentrales grafisches Element. Es gibt einen FAQ-Katalog für die Leitungskräfte als Leitfaden für Ihre Teamkommunikation, der laufend aktualisiert wird. Zudem beginnt Mitte Januar eine Art ‚Roadshow‘ von Haus zu Haus. An einem Mini-Messestand können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Fragen stellen und werden mit Informationen versorgt – alles ganz kompakt und nahbar.
Das große Ganze
Was ist das große Ziel? Thorsten Hitzel: „In einer Zeit des stetigen Wandels und der vielen Unwägbarkeiten brauchen Menschen Orientierung und Sicherheit. Die wollen wir als Unternehmen allen geben, die bei uns arbeiten, leben oder die mit uns verbunden sind. Wir zeigen mit dem Leitbild und jetzt schon mit dem Prozess, dass wir Grundsätze haben, dazu stehen und uns daran messen lassen. Der zweite Aspekt ist das Thema Identität als Arbeitgeber. Es beschäftigt uns als Träger in der Pflege natürlich. Wir wollen uns für unsere Arbeitgebermarke einsetzen, auch mal unser Handeln selbstkritisch hinterfragen und scheuen uns nicht, auch die berühmten ‚alten Zöpfe‘ abzuschneiden. Das ist ein Weg, der nicht immer Freude macht, aber wir müssen ihn gehen. Wir wollen Mitarbeiter fördern, nachhaltige, soziale Arbeitsbedingungen fördern und das, was wir tun und wofür wir stehen, auch nach außen kommunizieren. Denn hier steckt so viel mehr drin! Wir wissen, dass die Menschen bei uns mitgestalten wollen, sie wollen gesehen werden, sie erwarten Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung. Wir sind bereit.“ https://www.denkstarter.de/